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Raymond van den Bunt

Raymond van den Bunt (48), Entwicklungsingenieur, aus den Niederlanden, in Österreich seit 2004

Von den Niederlanden vermisse ich eigentlich nur meine Familie, die Meeresluft, den guten Käse, Lakritze und die Strandspaziergänge bei Sturm und Regen. Seit 20 Jahren arbeite und wohne ich in Braunau und fühle mich hier daheim. Hier habe ich mein Liebesglück gefunden und meinen Traumjob gleich dazu.

Heemskerk ist eine Stadt mit 40.000 Einwohnern in der niederländischen Provinz Nordholland, etwa 22 Kilometer nordwestlich von Amsterdam. Hier bin ich geboren und aufgewachsen. Ich habe eine Schwester und blicke auf eine schöne Kindheit und Jugend zurück. Als Teenager träumte ich davon, Kampffliegerpilot zu werden. Ich absolvierte das Gymnasium und hatte vor, an der Sportakademie zu studieren. Allerdings merkte ich schnell, dass mir mit dieser Ausbildung keine rosigen Zeiten blühen und dass ich damit schwer einen Job finden würde. Darum entschloss ich mich dazu, den Sport zum Hobby zu machen und mich stattdessen auf eine meiner anderen Stärken zu konzentrieren, mein Interesse an Technik. Ich studierte Luft- und Raumfahrttechnik in Delft. 

In den Niederlanden gab es damals wenig Arbeit in diesem Bereich, und so suchte ich im Jahr 1999 mein berufliches Glück in Bayern. Im Gymnasium in den Niederlanden habe ich sogar in Deutsch maturiert. Schuldeutsch ist jedoch nicht dasselbe wie Alltagsdeutsch, und das bereitete mir vor allem zu Beginn Kopfzerbrechen. In meiner Anfangszeit in München war ich meist schon um 20 Uhr im Bett, weil die Arbeit anstrengend war und ich den halben Tag mit Übersetzungen verbrachte. Deutsche Daily Soaps wie „Marienhof“ halfen mir zusätzlich, mein Alltagsdeutsch zu verbessern. 

Bereits nach wenigen Monaten fühlte ich mich gut integriert. Ich habe in München eine Anstellung bei Airbus gefunden. Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit lag auf Flugregelung. Zu meinen Arbeitsbereichen gehörten beispielsweise Forschungen für den Flugregler im Eurofighter, und ich war am X-31 Entwicklungsprojekt in den USA beteiligt. Dort kam ich erstmals mit Flug-Simulatoren in Berührung und hatte die Ehre, Teile eines Autopiloten zu entwickeln. Ich war glücklich mit meiner Arbeit und zähle auch heute noch zu den wenigen Menschen auf der Welt, die nicht von Beruf, sondern von Berufung oder Traumjob sprechen. Dennoch überkam mich immer wieder das Gefühl, dass da etwas fehlt. Ein Teilchen im System, das nicht passt. Bald darauf folgte ein Wink des Schicksals, und ich verstand, dass München nicht die Stadt sein würde, in der ich alt werde. 

Mein Kollegen- und Freundeskreis in München war bunt, und wir verstanden uns alle auf Anhieb sehr gut. So kam es auch, dass wir im Sommer 2000 Urlaub in Siena machten. Mit von der Partie war eine Freundin, die wiederum ihre Freundin aus Braunau – meine heutige Ehefrau – mitgenommen hat. Wir haben viele Ausflüge miteinander unternommen. Nach dem Urlaub habe ich gespürt, dass da mehr war als Freundschaft. Sie wusste damals, dass uns eine Fernbeziehung bevorstehen und es nicht leicht werden würde, aber glücklicherweise konnte ich sie dennoch für mich gewinnen. 

Nach einem Jahr Fernbeziehung fand ich eine Anstellung bei AMST Systemtechnik in Ranshofen. Das Unternehmen erzeugt flugmedizinische Geräte, darunter auch Flugsimulatoren. Meine Arbeit besteht darin, das Verhalten einzelner Flugzeugsysteme in Software nachzubilden und eine Flugsimulation zu ermöglichen. Ein Job also, der wie für mich geschaffen ist. 

Wir lebten am Anfang eine Zeit lang in Simbach. München ist eine Stadt, die zu jeder Tages- und Nachtzeit vor Leben nur so vibriert. Wenn ich ins Irish Pub ging, war es stets laut und gesellig. In Simbach sah die Welt anders aus. An einem Donnerstagabend im Irish Pub fühlte ich mich mutterseelenallein. Ich kann mich noch an die Worte ihrer besten Freundin erinnern: „Das muss Liebe sein, wenn man München für Braunau/Simbach verlässt.“ Quasi von der strahlenden Großstadt in die Provinz. Durch den Lauftreff in Simbach, den Haselbacher Stammtisch und den Alpenverein Braunau habe ich aber relativ schnell Anschluss gefunden. Danach ging es Schlag auf Schlag: Im Jahr 2002 heirateten wir, 2003 wurde unser Sohn geboren. Im Jahr 2004 haben wir unser Haus bauen lassen und sind nach Braunau gezogen. 

Für mich hat Braunau eine nahezu ideale Lage. Man hat mit dem Schellenberg im benachbarten Simbach ein Mountainbike-Paradies um die Ecke und ist schnell in jeder größeren Stadt in der Umgebung, falls es einem hier mal zu langweilig wird. Etwas mehr Nähe zu den Bergen wäre zwar nicht schlecht, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Darum will ich auch nicht zurück. Ich habe hier Freunde und Familie und bin mit meiner Arbeit mehr als zufrieden. AMST ist ein kleineres und persönlicheres Unternehmen als Airbus, und ich fühle mich hier eher als Teil einer großen Familie. Da denkt man nicht darüber nach, einen Schritt zurückzugehen.  

Mein Ziel für die Zukunft: gesund bleiben. Ich möchte mein Leben jetzt genießen, denn in den vergangenen Jahren ist mir durch Schicksalsschläge in näherer Umgebung bewusst geworden, wie kurz es ist. Irgendwie sind wir hier schon gesegnet, und ich denke, vielen Österreichern ist gar nicht bewusst, was für ein schönes Fleckchen Erde sie ihre Heimat nennen.

erschienen in: Braunauer Stadtnachrichten 194, Dezember 2021