So muss es sein...

Nechita Victor Răzvan

Nechita Victor Răzvan (30), aus Rumänien, Assistenzarzt Abteilung Radiologie Krankenhaus Braunau, in Österreich seit 2021

Das Heimweh ist immer da, egal, wie lange man in einem Land lebt. Egal, wie sehr man die Welt bereist hat. Da gibt es einen Ort, an dem dein Herz festhängt. Wenn du diesen Ort besuchst, ist es als würdest du einen Akku aufladen. Die Lebensdauer des Akkus beträgt in der Regel drei Tage. So lange brauchst du, bis du wieder am Boden der Tatsachen angekommen bist, zwölf Stunden Autofahrt entfernt von Familie, Freunden und deiner Geburtsstadt. Doch wie so oft im Leben muss man Prioritäten setzen. Meine war der Wunsch, nicht einfach nur Arzt zu sein, sondern ein richtig guter, und dafür muss man eben auch Opfer bringen. 

Ich wurde in der zweitgrößten Stadt Rumäniens, Cluj-Napoca (Klausenburg), als Sohn eines Ingenieurs und einer Chemielehrerin geboren. Akademiker zu sein, gehört in unserer Familie quasi zum guten Ton. Mein Großvater war Universitätsprofessor für Mathematik und mütterlicherseits sind fast alle Ärzte, auch meine kleine Schwester. Es war also klar, dass ich früher oder später eine ähnliche Laufbahn einschlagen würde. Bis es aber so weit war, konzentrierte ich mich bis zu meinem 15. Lebensjahr lieber auf meine Tenniskarriere. Ich war sogar zwei Mal Junioren-Staatsmeister. Ich liebte diesen Sport, doch ich hörte auf, weil die finanziellen Mittel irgendwann nicht mehr ausreichten. Zwar waren wir, im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung, finanziell gut gestellt, doch die Auslandsreisen zu den Turnieren kosteten teilweise über 5.000 Euro im Monat. Sponsoren wie hierzulande gibt es bei uns nicht. Meine Eltern mussten die Kosten jahrelang alleine stemmen. Als ich meine Tenniskarriere schweren Herzens an den Nagel gehängt hatte, überlegte ich, wohin die Reise für mich gehen soll.

Zu dieser Zeit besuchte ich eine deutsche Schule in Cluj-Napoca. Heute weiß ich, dass sie meine Rettung war, denn das Wissen von damals half mir hierzulande sehr weiter. Leider waren nur wenige unserer Professoren Deutsch-Muttersprachler, doch zumindest konnte ich mir ein gewisses sprachliches Polster aufbauen und hoffen, dass es mich sanft abfedern würde, wenn ich mich jemals in einem deutschsprachigen Land wiederfinden würde. Diesen Rat verdanke ich meinem Großvater, der ein weiser Mann war und mich in vielerlei Hinsicht gut beraten hat.

Ich habe mich fürs Medizinstudium in Oradea entschieden und gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Neben der Tatsache, dass ich dort studieren konnte, habe ich auch die Frau fürs Leben gefunden. Das nennt man Effizienz! Wir haben gemeinsam das Studium abgeschlossen und die Staatsprüfung abgelegt. Danach bekam ich relativ schnell eine Arbeitsstelle im Krankenhaus in Cluj-Napoca, doch darauf folgte, mindestens genauso schnell, die Ernüchterung. Ich war ein junger Arzt, mitten in der Corona-Welle, was an sich schon Herausforderung genug war. Hinzu kam, dass mich die Arbeit meinem Ziel, ein guter Arzt zu werden, nicht näher brachte. Nach einem Jahr fragte ich mich: „Echt jetzt? Dafür habe ich studiert?“ Die Arbeitsbedingungen waren nicht gut, man hat sich nur wenig Zeit genommen, uns etwas beizubringen, und die Investitionen ins Gesundheitssystem hielten sich in Grenzen, weswegen die Qualität unserer Arbeit litt. Ich hatte das Gefühl zu stagnieren und war mir sicher, dass es in ein paar Jahren nicht besser sein würde. Also beschloss ich, ins Ausland zu gehen. Meine schwangere Frau war davon nicht begeistert, aber sie hat mich trotzdem immer unterstützt.

Ich fing in einem Krankenhaus in Niederösterreich auf der Abteilung für Orthopädie an. Weil mich Radiologie mehr reizte, kam ich schließlich nach Braunau. Dank zweier Stipendien während meines Studiums hatte ich bereits mehrere Monate in Ingolstadt und Aachen arbeiten können. Der Sprung ins kalte Wasser war also gar nicht so kalt. Trotzdem hieß es hier: alles auf Werkseinstellungen zurücksetzen. Zwischen Braunau und meiner Heimatstadt liegen Welten. Cluj-Napoca, mit rund 300.000 Einwohnern, ist heute eines der wichtigsten kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zentren Rumäniens. Eine multikulturelle Stadt, in der über zehn verschiedene Religionen praktiziert werden. Es gibt 30 Gymnasien, zahlreiche Museen und Sehenswürdigkeiten. Die Architektur erinnert an die österreichische, weil die Stadt Teil der Habsburgermonarchie war. Optisch ist der Unterschied zu Österreich also gering, aber alles andere ist anders. Das Gefühl, angekommen zu sein, kam erst später auf.

Doch von Anfang an fühlte ich mich im Radiologie-Team am KH Braunau gut aufgehoben. Meine Kolleg:innen gaben sich große Mühe, mir etwas beizubringen, und nicht nur das – sie sind menschlich einfach top. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit wir bei der Arbeit miteinander verbringen, ist die Atmosphäre in der Abteilung sehr wichtig und ich bin dankbar, dass es bei uns so gut passt. Mein Gedanke damals war: „Genau so muss es sein!“ Viele meiner Kolleg:innen sind ebenfalls aus Rumänien, was mir das Ankommen erleichterte. In meiner Freizeit hingegen verbringe ich mehr Zeit mit Österreichern. Tennis spiele ich immer noch und schaufle mir für die Spiele so viel Zeit wie nur möglich frei. Diese Sportart ist mein Ventil für den Alltagsstress und hält mich fit.

Mittlerweile sind wir angekommen, weil das Drumherum passt. Unser Sohn wird im Kinderland des KH betreut, wofür wir sehr dankbar sind. Ich bin innerhalb weniger Minuten zu Fuß bei der Arbeit, und auch meine Frau möchte bald ins Berufsleben zurück. Wir haben hier einen kleinen Freundeskreis gefunden und wissen mittlerweile das Kleinstadtleben zu schätzen. Es ist einfach eine runde Sache und nicht selbstverständlich. Darum bin ich diesem Land so dankbar, dass es uns so viele Möglichkeiten eröffnet hat. 

Für die Zukunft wünsche ich mir in erster Linie Gesundheit. Ich möchte mehr Zeit für die Menschen haben, die mir wichtig sind, und meinem Sohn dabei helfen, eine Sportart zu finden, die ihm Freude bereitet. Medizin ist Training für meinen Geist, Tennis für meinen Körper und meine Familie ist Balsam für mein Herz und meine Seele. Das ist im Grunde mein Motto und das, was mich ausmacht. Mein Tipp an Neuankömmlinge: Auch wenn es schwer ist – streift eure introvertierte Haut ab und geht auf Menschen zu. Wartet nicht darauf, dass euch jemand „abholt“. Gute Beziehungen und Kommunikation sind immer mit Arbeit verbunden, und diese beginnt, sobald man einen Schritt in dieses Land gesetzt hat. 

erschienen in: Braunauer Stadtnachrichten 203, März 2024